Atemwegsinfekte bei Kindern: Warum ist die Lage so angespannt?
Das RS-Virus und die Influenza-Welle sorgen dafür, dass viele Kinderstationen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Wie unterscheidet sich das aktuelle Geschehen von dem in den Vorjahren?
Seit Oktober leiden viele Kinder stark unter Atemwegskrankeiten. Besonders das RS-Virus (RSV) macht vielen kleinen Kindern so sehr zu schaffen, dass ihre Eltern sie ins Krankenhaus bringen. Seit Mitte September 2022 gehen mehr als zwei Drittel aller Neuaufnahmen in Kinder- und Jugendkliniken auf das Virus zurück, das zeigen Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.
Angespannte Lage auf Kinderstationen: Mehrere Faktoren ausschlaggebend
Zwar gibt es jedes Jahr eine RSV-Welle, doch in diesem Jahr ist die Situation in den Kliniken besonders angespannt. So wies die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Anfang Dezember darauf hin, dass manche Kinderstationen kein einziges Bett mehr frei haben. Für diese besondere Lage sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Zwei davon lassen sich im folgenden Diagramm erkennen.
Wie sich Influenza und RSV seit Januar 2020 entwickeln
Durch Lockdown blieben Infektionen aus
In diesem Jahr gibt es laut dem Robert Koch-Institut vergleichsweise viele RS-Virus- und Influenza-Infektionen bei Kindern unter zehn Jahren. Dies liegt auch daran, dass im Lockdown im Jahr 2020 viele Kinder deutlich weniger Kontakte hatten und es kaum nennenswerte Fälle von RSV oder Influenza gab. Bereits nach den ersten Corona-Lockerungen infizierten sich im Frühherbst 2021 ungewöhnlich viele mit RSV. Fachleute führen das darauf zurück, dass zahlreiche Kleinkinder zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Virus in Kontakt kamen. Der Effekt ist auch in diesem Jahr spürbar.
RSV- und Influenza-Welle fallen zusammen
Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor, der aktuell die Lage auf den Kinderstationen verschärft: Während im vergangenen Jahr die RSV-Welle deutlich vor der Influenza-Welle begann, überlagern sich in diesem Jahr beide Wellen.
Generell schwierige Situation auf den Kinderstationen
Grundsätzlich sind solche Spitzen für Kinderstationen schwer zu bewältigen. "Die Zahl der Betten in Kinderstationen ist in den vergangenen 20 Jahren um etwa 30 Prozent gesunken. Trotz mehr Geburten in den vergangenen Jahren werden weiter Kliniken geschlossen oder Betten abgebaut", sagt Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin. Zudem seien nach zweieinhalb Jahren Pandemie viele Pflegekräfte erschöpft. Auch deswegen ließen sich Kinderstationen nicht sofort auf ihre theoretisch mögliche Kapazität hochfahren.
Kinder-Intensivstationen: Mancherorts freie Betten knapp
Zwar muss zum Glück längst nicht jedes Kind mit einer RSV- oder Influenza-Infektion ins Krankenhaus oder gar intensivmedizinisch behandelt werden, aber auch auf den Kinder-Intensivstationen ist die angespannte Lage deutlich zu spüren. Die Zahl von verfügbaren Intensivbetten für Kinder nimmt seit Beginn der Grippesaison Anfang November Stück für Stück ab. Insgesamt wirkt der Anteil verfügbarer Betten in Kinder-Intensivstationen vergleichsweise hoch. Doch es ist wichtig zu wissen, dass es an manchen Standorten keine Kinder-Intensivstation gibt oder nur sehr wenige Plätze. Hier können 50 Prozent verfügbare Plätze tatsächlich nur zwei von vier Betten bedeuten.
Die derzeit noch ansteigende Influenza-Welle wird zu einer weiteren Belastung der Kinderstationen führen. Denn im Gegensatz zum RS-Virus, bei dem sich vor allem Kinder untereinander anstecken, können sich Kinder bei Personen aller Altersgruppen mit der Grippe anstecken. Dies zeigt auch die bundesweite Beobachtung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. So wurden im Schnitt zuletzt täglich wieder weniger Kinder und Jugendliche mit RSV-Infektion auf einer Intensivstation aufgenommen, während die Zahl der Aufnahmen wegen Influenza anstieg.